Bewegungsstörungen und die schwierige Unterscheidbarkeit der verschiedenen Arten

Was sind eigentlich Bewegungsstörungen? Viele Laien werden sich im ersten Moment kein rechtes Bild machen können, was unter diesem Komplex an neurologischen Erkrankungen verstanden werden kann.

Manche mögen an einen unrunden Gang denken, an Hinken oder Nachziehen des Beines, möglicherweise an unkontrollierte Ausschläge von Armen und Füßen, an Zittern der Hände oder auch an Verkrampfungen und unwillkürliche Zuckungen.

Doch die richtige Diagnose ist bei der Behandlung von Bewegungsstörungen elementar, weshalb der Selbsthilfeverband Dystonie-und-Du e.V. aktuell auf die Probleme in der korrekten Anamnese, Untersuchung, Befundung und Beurteilung von Bewegungsauffälligkeiten aufmerksam macht und deshalb dazu ermutigen möchte, sich mit den Unterschieden zwischen den einzelnen Krankheitsbildern zu befassen und ambulante oder stationäre Hilfe besonders dort in Anspruch zu nehmen, wo man auf Erkrankungen des Bewegungsapparates spezialisiert ist.

„Oftmals sind das Universitätskliniken mit extra eingerichteten Spezialambulanzen oder niedergelassene Neurologen mit einem eigenen Schwerpunkt“, erklärt Ulrike Halsch, Vorsitzende des Vereins.

Doch auch für den Nicht-Mediziner lassen sich Bewegungsstörungen anhand wichtiger Kernmerkmale recht einfach voneinander trennen und einteilen. So erklärt der Psychosoziale Berater von Dystonie-und-Du e.V., Dennis Riehle, der selbst betroffen und daneben in Grundlagenmedizin zertifiziert ist:

Dystonie

Als Erkrankung des extrapyramidalen Systems des motorischen Gehirns handelt es sich bei dieser Erkrankung um eine hyperkinetische Störung mit der Leitsymptomatik von Muskelverkrampfungen oder Fehlhaltungen.

Oftmals zeigen sich Körperteile durch Spasmen verdreht oder geneigt und verursachen dadurch eine andauernde Verspannung mit Schmerzen und Kontraktionen verschiedener Muskelgruppen des Körpers.

Beispiele sind die zervikale Dystonie oder der „Torticollis“, eine Fehlstellung des Kopfes, aber auch die oromandibuläre und spasmodische Dystonie mit Verkrampfung und Verschiebung der Mundpartie und des Kauapparats beziehungsweise einer Verkrampfung der Stimmbänder.

Daneben ist auch die Gliederdystonie verbreitet, welche sich als Schreibkrampf, Fußdystonie und Musikerkrampf äußern kann und eine Fehlhaltung von Händen, Armen und Beinen mit sich bringt.

Der Blepharospasmus ist ein Lidkrampf, der unkontrolliert blinzeln lässt.

Parkinson

Bei der früher als „Schüttellähmung“ genannten Erkrankung handelt es sich um die prominenteste Bewegungsstörung, welche in den meisten Fällen mit der Symptomatik aus Zittern, Muskelsteifigkeit und psychomotorischer Verlangsamung einhergeht.

Frühe Warnzeichen sind eine mögliche Veränderung von Geruchs- und Geschmackssinn, depressive Verstimmungen und Schlafstörungen.

Im weiteren Verlauf häufen sich Probleme der Koordination, des aufrechten Gangs und der Haltung, Gleichgewichtsprobleme, eine verminderte Mimik, Kontinenzstörungen, Kleinschrittigkeit, Blutdruckprobleme, demenzartige Schwierigkeiten und Halluzinationen.

Erst, wenn mehrere dieser Symptome auftreten, können Mediziner eine gesicherte Diagnose stellen. Denn oftmals wird Parkinson mit einfachen Tremor-Erkrankungen verwechselt.

Chorea-Erkrankung und Ballismus

Hierbei können kurze, sich wiederholende, plötzlich einsetzende Bewegungen unterschiedlicher Körperteile in eine chronische und fortdauernde Bewegungsstörung übergehen, die vor allem Gesicht, Mund, Rumpf und Gliedmaßen betreffen und zumeist wiederkehrend und anhaltend sind.

Der Ballismus als Lähmungserscheinung, die sich durch eine abrupte und ausschlagende Körperreaktion wieder löst und damit runde und gleichmäßige Bewegungsabläufe unterdrückt, tritt vorwiegend als halbseitiges Erscheinungsbild auf.

Tremor

Unterschiedliche Formen des Zitterns werden hierbei zusammengefasst. Unterschieden wird hierbei nach Ruhe- und Aktionstremor, letztendlich der Frage, ob die unkontrollierte Bewegung lediglich im Ruhezustand oder bei kontrollierten Handlungsabläufen auftritt.

Gleichermaßen kann gemäß der Bewegungsabsicht differenziert werden, beispielweise nach Intentionstremor (bei einer auf ein Ziel ausgerichteten Bewegungshandlung auftretend), kinetischem Tremor (beim Abschluss eines Handlungsablaufs auftretend) oder posturalem Tremor (Zittern beim Ausstrecken und Halten einer Gliedmaße).

Ursächlich kann voneinander getrennt werden: Physiologisch (natürlicher vorkommender Tremor), essentieller (angeborener, genetisch bedingter Tremor), zerebellär (im Gehirn ursächlich) oder sekundärer Tremor (durch Medikamente oder andere Erkrankungen ausgelöstes Zittern).

Oftmals ist ein übersteigerter Tremor in Stresssituationen völlig normal.

Myoklonie

Im Gegensatz zur Dystonie kommt es hierbei nur zu kurzen, unwillkürlichen und sich rasch selbst zurückbildenden Zuckungen von Muskelgruppen und einzelnen Gelenken.

Im Gegensatz zu anderen Bewegungsstörungen ist die Ursache für diese Erkrankung vornehmlich in der Nebenwirkung von Medikamenten wie Antiepileptika oder Beruhigungsmitteln, in Leber- oder Nierenschäden, Kopfverletzungen oder infektiösen Krankheitsbildern zu finden.

Gerade bei Stoffwechselerkrankungen können Myoklonien des Gesichts, des Oberschenkels oder des Oberarms auftreten und sind durch die Behebung des Auslösers remittierend. Trigger für eine myoklonische Erkrankung können Licht und Geräusche sein.

Funktionelle Bewegungsstörungen

Hierbei handelt es sich um Bewegungsstörungen, die auf einer psychogenen Ursache beruhen und für die in erster Linie keine körperlich-messbare Herkunft bestimmt werden kann.

Prinzipiell ist jede Bewegungserkrankung auch funktionell möglich. Wenngleich zwar selten, sind psychogener Parkinson, funktionelle Dystonie oder emotional bedingter Tremor ernstzunehmende Erkrankungen, welche diagnostisch erst dann gesichert sind, wenn differentialdiagnostisch alle Möglichkeiten einer physischen Ursache ausgeschlossen wurden.

Die Diagnostik bei allen Bewegungsstörungen sollte zunächst eine bildgebende Aufnahme des Kopfes vornehmen und eine Blutentnahme beinhalten. Gerade der Ausschluss von internistischen Erkrankungen als Ursache ist hierdurch recht einfach möglich.

Bei einer MRT-Schichtaufnahme des Schädels lassen sich mögliche Verletzungen oder Einblutungen sowie Raumforderung leicht erkennen und als Herkunft für die Bewegungsstörung ausschließen.

Daneben sollte in der neurologisch-klinischen Untersuchung zunächst festgestellt werden, ob eine erkennbar hyperkinetische (bewegungsreiche) oder hypokinetische (bewegungsarme) Störung vorliegt.

Da die meisten neurologischen Erkrankungen des Bewegungsapparates ihre organische Ursache regelhaft in den Basalganglien finden, kann eine ergänzende nuklearmedizinische Untersuchung nötig werden.

Hierbei wird anhand eines sogenannten „PET-CT“ die Stoffwechselaktivität im entsprechenden Areal des Gehirns festgestellt.

Mit einem „DaTSCAN“ kann zudem erhoben werden, ob im Kopf eine verminderte oder überschüssige Dopaminproduktion vorliegt – denn zu wenig Dopamin weist auf Parkinson, zu viel Dopamin aber auf hyperkinetische Störungsbilder hin.

Schwierig bleibt letztendlich die Frage, ob auch Medikamente ursächlich für die Bewegungsstörung sein können.

Ein erfahrener Arzt wird daher eine gründliche Anamnese erheben, um klären zu können, ob vielleicht ein Parkinsonismus vorliegt (ein arzneimittelinduziertes Parkinson-Syndrom).

Funktionelle Bewegungsstörungen sind schwer abzugrenzen, da nicht leichtfertig eine psychische Ursache angenommen werden sollte.

Hinweise für ein psychogenes Geschehen sind eine fluktuierende Symptomatik (sich rasch ändernde und an unterschiedlichen Tagen oder Stunden stark unterschiedlich ausgeprägte Beschwerden), ein plötzliches Einsetzen oder Abklingen der Einschränkungen, kein Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie, labordiagnostisch und neuroradiologisch unauffällige Befunde und eine vermutete traumatisch-belastende Lebenssituation in Vergangenheit oder Gegenwart, die zu dissoziativem Verhalten führt – also Tendenzen zur Ablehnung gewisser Körperteile oder Persönlichkeitseigenschaften zeigt.

Therapeutisch wird an die einzelnen Bewegungsstörungen unterschiedlich herangegangen

Während der Parkinson klassischerweise mit Dopamingabe behandelt wird und mit physio-, ergo- und psychotherapeutischen Maßnahmen begleitet wird, sind bei Dystonie Anticholinergika und Muskelrelaxantien, selten auch beruhigende (sedierende) Psychopharmaka, Botulinumtoxin und in vereinzelten Fällen eine tiefe Hirnstimulation die Mittel der Wahl.

Ebenfalls kommen krankengymnastische Maßnahmen und psychologische Unterstützung in Betracht. Beim Tremor wird versucht, die Ursache zu finden und entsprechend zu behandeln.

Teilweise können Betablocker, Antikonvulsiva und Antidepressiva Linderung bringen. Auch hier kann in schweren Fällen eine Tiefe Hirnstimulation überlegt werden. Selbige Behandlungsoptionen sind auch bei Myoklonien denkbar.

Bei Chorea und Ballismus sollte besonders auf mögliche Stoffwechselerkrankungen, Nieren- oder Leberprobleme als Herkunft der Erkrankung geblickt und diese vorranging therapiert werden.

Linderung der eigentlichen Bewegungsstörung können auch hier Antiepileptika und manche Antipsychotika bringen.

Implantationsverfahren am Gehirn kommen hierbei allerdings nur äußerst selten in Frage. Stattdessen sollten Medikamente aus der Krankheitsgeschichte, die als Nebenwirkung eine Bewegungsstörung hervorrufen können, durch äquivalente Präparate ersetzt werden.

Funktionelle Bewegungsstörungen sind mit psychodynamischen oder traumatherapeutischen Maßnahmen angegangen werden. Es ist eine intensive psychosoziale Betreuung notwendig.

Im Einzelfall können milde Antidepressiva zur begleitenden Unterstützung eingesetzt werden.

Bei allen Bewegungsstörungen lohnt sich die Inanspruchnahme von ausgewählten Entspannungsverfahren, Massagen, sprach- und logopädagogische Konzepte, kognitive Übungen sowie eine ausreichenden Vitalstoffversorgung.

Wie Ulrike Halsch und Dennis Riehle abschließend erklären, bietet der Verein Betroffenen und Angehörigen, aber auch Patienten mit einer unklaren Diagnose einer möglichen Bewegungsstörung einen Erfahrungsaustausch und Auskunft an.

Zudem hat der Verein eine psychosoziale Mailberatung eingerichtet und unterstützt damit niederschwellig alle Hilfesuchenden kostenlos. Sie können sich direkt melden bei: Dennis.Riehle(at)dysd.de.

Dennis Riehle, Selbsthilfeverband Dystonie-und-Du e.V.

Weitergehende Informationen können auf der Homepage www.dystonie-und-du.de abgerufen werden.


Zum Hintergrund: Die Dystonie-Erkrankung umschreibt eine Vielzahl von Störungsbildern, bei denen sich unwillkürliche Muskelkontraktionen in Krämpfen äußern und zu schmerzhaften wie nicht steuerbaren Zusammenziehungen und Streckungen von diversen Gelenken (vor allem der Handgelenke und von Fingergelenken), der Augenmuskulatur, der Stimme, der Gesichtsmuskeln, des Kauapparats oder der Halsmuskeln kommen kann.

Der Verein „Dystonie-und-Du e.V.“ ist der bundesweit tätige Selbsthilfeverband, der für Erkrankte und deren Angehörige offensteht, gleichermaßen aber auch für Fachpersonen Anlaufstelle ist und deshalb auch über einen wissenschaftlichen Beirat verfügt. Er wurde 2017 gegründet und vertritt seither die Interessen der Betroffenen der seltenen Erkrankung, die in Deutschland ca. 160.000 Personen heimsucht.

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